Die Sozialdemokratie in Europa steht am Scheideweg. Das behaupten zwei britische Professoren. Als warnendes Beispiel haben sie den deutschen Kanzler ausgemacht.

Die Sozialdemokratie hat es in Zeiten der multiplen Krise nicht leicht. Während Ukrainekrieg, Rezession und Klimawandel Europa in Atem halten, versuchen die Regierungen der Nationalstaaten mehr oder weniger erfolgreich, sich gegen die Unbill der Gegenwart zu stemmen. Ob schwächelnde Wirtschaft, soziale Unruhen oder Wladimir Putin – ist der eine Brandherd erst gelöscht, lodert schon der nächste, und meistens glimmen alle zugleich.

Olaf Scholz wartet angesichts dessen ab und erklärt sich, wenn er die Zeit gekommen sieht, so wie nun bei seiner Weigerung, der Ukraine dringend benötigte Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Scholz ist das Gegenteil des „Basta“-Kanzlers, ein Machtwort hat er in seiner notorisch zerstrittenen Koalition bislang erst einmal gesprochen. „Wir streiten wie die Kesselflicker“, sagte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nun gegenüber der „Rheinischen Post“.

Dass hinter Scholz‘ Regierungsstil nicht etwa politisches Kalkül, sondern ein Mangel an Richtlinienkompetenz stecken könnte, diese These stellen nun zwei britische Autoren auf. In einem Aufsatz für den britischen „Guardian“ machen sich Tarik Abou-Chadi und Tom O’Grady Gedanken über die Zukunft der Sozialdemokratie im Allgemeinen und im Besonderen in England.

Scholz ein „von Natur aus vorsichtiger Technokrat“

Dort will der Labour-Vorsitzende Keir Starmer nach den kommenden Parlamentswahlen die Macht übernehmen, die Chancen dafür stehen nicht schlecht, sind die Briten nach dem Brexit, einer anhaltenden Wirtschaftskrise und dreizehn Jahren Tory-Regierung doch reichlich desillusioniert. Laut einer Umfrage waren 49 Prozent der Briten im Januar mit der Arbeit der Labour-Partei zufrieden, dagegen nur noch 27 Prozent mit der Performance der regierenden Tories von Premier Rishi Sunak.

Die Mehrheit im Land hat die Konservativen ziemlich satt, und Starmer muss eigentlich nicht viel mehr tun, als bis Oktober keine gröberen Fehler zu machen. Doch was dann?

Wie man es nach einem Machtwechsel von bürgerlich-konservativer zu liberal-sozialdemokratischer Regierung nicht machen sollte, zeigen Abou-Chadi und O’Grady am Beispiel der deutschen Ampel. „Wer wissen will, wie Großbritanniens Zukunft unter Starmer aussieht, sollte nach Deutschland schauen – die Aussichten sind nicht rosig“, lautet der Titel ihres Essays sinngemäß. Der Regierung stellen sie darin ein vernichtendes Zeugnis aus, allen voran dem Bundeskanzler aus Reihen der SPD.

Scholz zeichnen sie als von „Natur aus vorsichtigen Technokraten“, der sich plötzlich in einem Land wiedergefunden habe, das vom Weg abgekommen ist. Als einen Politiker, der seine politischen Ziele über Bord wirft, nur um die schwarze Null zu gewährleisten, also den ausgeglichenen Staatshaushalt. „Mehr als zwei Jahre nach seinem Amtsantritt wirkt die Regierung ohne Orientierung, ohne jegliche Vision für die Zukunft“, so die Autoren. In diese Lücke stoße nun immer stärker die politische Rechte. Die Sozialdemokratie hingegen renne schnurstracks in die Niederlage.

Überfällige Reformen würden verschleppt

Abou-Chadi und O‘ Grady arbeiten als Professoren für Politikwissenschaft an den Elite-Universitäten Oxford und am University College of London (UCL). Aus ihrer Sympathie für Mitte-Links-Parteien machen sie keinen Hehl. Er mache sich Sorgen um „die verändernde Kraft der politischen Linken“ und um den zunehmenden gesellschaftlichen Einfluss rechtsextremer Parteien, schreibt Abou-Chadi bei X.

Um diese Entwicklung aufzuhalten, brauche es starke politische Programme und durchsetzungsfähige Akteure. All das sehen er und O’Grady jedoch weder bei Scholz noch bei seinem britischen Widerpart Keir Starmer. Auch der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück attestierte Scholz zuletzt einen gewissen „Mangel an Führung und Orientierung“.

Die beiden britischen Professoren halten dem Kanzler zwar bisweilen große Ambitionen zugute. Seit er im Amt ist, wisse Scholz aber nicht mehr, was er mit der Macht anfangen soll. Er stecke in einem „fiskalpolitischen Zwangskorsett“, das Reformen verunmögliche. Dabei brauche Deutschland gerade jetzt Führung, zumal ein Gutteil der Wähler zunehmend frustriert von der Politik sei.

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