Boris Pistorius versucht es in den USA mit klarer Kommunikation. Die eindringliche Botschaft des Verteidigungsministers: Nach Jahrzehnten der militärischen Zurückhaltung sei Deutschland bereit zu führen.

Am Tag der Befreiung steht Boris Pistorius auf einem Hügel und blickt auf die amerikanische Hauptstadt. Mehr als 8.000 gefallene amerikanische Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg liegen hier auf dem Nationalfriedhof in Arlington, leicht oberhalb von Washington, begraben. Vor rund 80 Jahren gaben sie ihr Leben, um Hitler-Deutschland zu besiegen. Der Bundesverteidigungsminister legt einen Kranz nieder am Grabmal eines unbekannten Soldaten. Andächtig steht Pistorius vor dem Denkmal, einem Sarkophag aus Marmor. Ein US-Soldat spielt auf der Trompete die bekannte feierliche Trauermelodie „Taps“.

Diese Zeremonie am 8. Mai ist Boris Pistorius wichtig. Der Verteidigungsminister ist nach Washington gekommen, weil er der amerikanischen Öffentlichkeit zeigen will, dass Deutschland dankbar ist. Die USA, so zeigen es die vielen Termine und Auftritte von ihm in diesen Tagen, sind aus Pistorius‘ Sicht zum Wohl Deutschland schon mehrfach in historische Vorleistung gegangen. Auch später im Kalten Krieg schützten Amerikaner die Bundesrepublik vor der Sowjetunion, vom Aufbau der Luftbrücke für West-Berlin bis zur Wiedervereinigung.

Jetzt aber ist eine Zeit gekommen, in der Deutschland selbst in die Verantwortung gehen soll. Gegenüber den Amerikanern, aber auch gegenüber jenen Verbündeten und Partnern, die heute im Osten die Bedrohten sind. Dazu gehören Polen, die baltischen Staaten, aber auch die Ukraine. Boris Pistorius will zeigen, dass Deutschland eben nicht mehr nur dankbar ist und von einer jahrzehntelangen Friedensdividende profitieren kann.

Nun kann Pistorius Vollzug melden

Seinem amerikanischen Kollegen, dem Verteidigungsminister Lloyd Austin, machte er das schon während seines Besuchs im vergangenen Jahr deutlich. Einst sei „Deutschland die Ostflanke“ der Nato gewesen, sagte Pistorius damals im Juni 2023. Im Kalten Krieg habe für ihn immer außer Frage gestanden, dass die USA und die anderen Alliierten die Sicherheit und Freiheit garantiert hätten. Jetzt habe Deutschland eine besondere historische Verantwortung für die „neue Ostflanke“, also die baltischen Staaten und Polen.

In diesem Jahr kann Pistorius bei seiner USA-Reise Vollzug melden. Deutschland macht Ernst und schickt 4.800 Soldatinnen und Soldaten langfristig als Litauen-Brigade ins Baltikum. Und Lloyd Austin bedankt sich dafür ausdrücklich. „Deutschlands Plan für eine ständige Brigade in Litauen ist eine historische Verpflichtung, die die europäische Sicherheit stärken wird“, sagt er. „Und wir loben Deutschland dafür, dass es unsere gemeinsame Nato-Verpflichtung erfüllt hat, in diesem Jahr mindestens zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung auszugeben. Deutschland bleibt einer unserer stärksten und zuverlässigsten Verbündeten“, so Austin.

Als die beiden Verteidigungsminister vor dem Pentagon beim Ehrenspalier nebeneinanderstehen, strahlt Pistorius ein gewisses Selbstbewusstsein aus, nicht mehr nur ankündigen, sondern auch liefern zu können. Als die deutsche Nationalhymne erklingt, singt er mit. Bei seinem letzten Besuch im Juni 2023 lauschte er den Klängen noch stumm.

Führung statt Fehler

Vor Hunderten Zuhörern an der Johns-Hopkins-Universität sagt Pistorius dann in einer Art verteidigungspolitischen Grundsatzrede: „Deshalb arbeiten wir intensiv an der Stärkung des europäischen Pfeilers innerhalb der Nato und wir sind bereit, die Führung zu übernehmen.“ Als Beleg dafür führt er nicht mehr nur das Mindestziel von zwei Prozent an Verteidigungsausgaben, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, an. So nennt er die Aussetzung der Wehrpflicht „einen Fehler“. Die Zeiten hätten sich geändert, so Pistorius. „Ich bin überzeugt, dass Deutschland eine Art Wehrpflicht braucht.“ Es ist das nächste große Projekt, dass er angehen will.

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