Ursprünglich wollte die Bundesregierung seit Oktober 2022 monatlich tausend
besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan ins sichere Deutschland bringen. Jetzt sind es viel weniger – und Deutschland könnte die Menschen noch richtig enttäuschen.

Am Ende des Telefonats steht ein leises „Auf Wiedersehen“ auf Deutsch. Viel Hoffnung und viel Bangen liegen in den Worten der jungen Frau, die aus einem Gästezimmer in Islamabad anruft. In den kommenden Tagen wird sie in der deutschen Botschaft ein sogenanntes Sicherheitsinterview haben. Es wird über ihr weiteres Leben entscheiden.

Dort wird sie ihren echten Namen sagen, während sie zu ihrem Schutz in diesem Text Gazal heißt. Sie wird deutschen Beamten viele Fragen beantworten, die letzte Gewissheit liefern sollen: Diese junge Frau steht für Werte, die den Westen prägen und mit denen sie sich bei den radikalislamischen Taliban zum Feind gemacht hat.

Gazal gehört zu den „besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen“, denen Deutschland mit einem Bundesaufnahmeprogramm ein neues Leben in Sicherheit vor den Taliban geben will. So hatten es Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im Oktober 2022 verkündet. Doch das Programm für Menschen wie Gazal hält bei Weitem nicht, was es versprochen hat, und ihm steht ein abruptes Ende bevor.

Tausend Menschen pro Monat sollten seit Oktober 2022 nach Deutschland geholt werden. Nach mehr als zwei Jahren sind es bis heute nur insgesamt 864. Und jetzt herrscht auch noch Ungewissheit bei denen, die eigentlich schon hoffnungsvolle Post bekommen haben.

Gazal bangt nach einem Martyrium in Afghanistan, einem Leben im Versteck und fünf Monaten Warten in einem Zimmer in Islamabad. Ihre Geschichte ist ein eindringliches Beispiel für die Berechtigung des Programms – und die Probleme bei seiner Umsetzung.

Aus Einzelschicksalen werden im deutschen Behördenapparat Zahlen. In Berlin hat sich Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, in einer Kleinen Anfrage danach erkundigt. Die Bundesregierung bleibt ihr eine Antwort schuldig: Geht es für die Menschen, die bereits Nachricht aus Deutschland haben, überhaupt weiter? Im Sommer hatte die Ampel den Topf, aus dem auch das Aufnahmeprogramm bezahlt wird, für 2025 von 70,5 Millionen auf 8,9 Millionen Euro zusammengestrichen.

Am 6. November gab es dann eine Einigung, woher noch Geld kommen soll – aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationstopf der EU (AMIF). „Aufnahmeprogramm für Afghan*innen gerettet“, titelte die taz. Wenige Stunden danach platzt die Ampel. Es wird vorzeitig gewählt.

Das hat unmittelbare Folgen für das Aufnahmeprogramm, das bis zum Ende der Legislaturperiode angelegt ist. „Für die Umsetzung bleibt deshalb weniger Zeit“, teilt ein Sprecher des Innenministeriums t-online mit. „Innerhalb der Bundesregierung wird derzeit das weitere Vorgehen geprüft.“

Und das Geld? Die Bundesregierung schrieb an Linken-Politikerin Bünger mit Datum 18. November, es sei „beabsichtigt unter Rückgriff auch auf europäische Mittel sicherzustellen“, dass die Menschen mit Aufnahmezusage auch im Jahr 2025 ausreisen können. Es geht weiter um die europäischen Mittel, so ein Sprecher zu t-online. „Einzelheiten eines Abrufs dieser Mittel auch für den Fall einer vorläufigen Haushaltsführung sind noch zu bestimmen.“

Ebenso unklar ist, ob und wie Geld eingesetzt werden kann, das aus diesem Jahr übrig bleibt. Bünger kritisiert: „Es ist ein Skandal, dass die Finanzierung in Frage steht, selbst in den Fällen, in denen die Menschen eine verbindliche Aufnahmezusage haben.“

Verbindlich ist eigentlich auch die Zusage an Gazal, wenn sie das Sicherheitsinterview besteht, auf das sie in ihrem Zimmer in Islamabad wartet. Sie schaltet beim Telefonat mit dem Reporter die Handykamera an, um den Raum zu zeigen mit den beiden Betten für sie und ihre Mutter, dem kleinen Fernseher und einem Kühlschrank. Zu sehen ist jetzt auch sie, dezent geschminkt, mit Lidstrich und nachgezogenen Augenbrauen, kein Kopftuch über den zusammengebundenen Haaren. An ihrer Halskette hängt eine silberne liegende Acht, das Zeichen für Unendlichkeit. „Wie der Kampf afghanischer Frauen“, sagt sie.

Gazal teilt sich das Zimmer mit ihrer Mutter. Angemietet ist es von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die in Islamabad mehrere Hotels und Gästehäuser in Beschlag genommen hat. Fast 4.000 Menschen aus Afghanistan warten hier auf grünes Licht aus Deutschland. Es sind frühere Ortskräfte darunter, die direkt für deutsche Stellen gearbeitet haben, seit zwei Jahren die Zusage haben und immer noch warten.

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