Die Bundesregierung will Migranten an der Grenze zurückweisen. Friedrich Merz dementiert, dass er dafür die Notlage erklärt. Doch so einfach ist es nicht. Er steckt in einem Dilemma.
Friedrich Merz will etwas klarstellen. Es habe da „einige Irritationen gegeben“, sagt der neue Bundeskanzler bei seinem Antrittsbesuch bei der EU in Brüssel. „Es hat niemand in der Bundesregierung – auch ich persönlich nicht – eine Notlage ausgerufen.“ Es war die Meldung, die am Donnerstag in Berlin viel Aufregung ausgelöst hatte.
Deutschland kontrolliere seine Grenzen nun „intensiver“, sagt Merz, und „wir werden auch weiter zurückweisen, aber das ist alles im Einklang mit europäischem Recht“. Es gebe „keinen deutschen Alleingang“, die Nachbarn seien „vollumfänglich informiert“.
Klingt gut, nur ganz so einfach ist es nicht. Die „Irritationen“, von denen Merz spricht, sind bei einigen Nachbarn mehr als das. Und der Begriff der „Notlage“ kommt nicht aus dem Nichts, selbst wenn Merz jetzt offensichtlich unbedingt vermeiden will, dass es so genannt wird.
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Die Zurückweisung von Asylsuchenden „ab Tag eins“ war Friedrich Merz‘ wichtigstes Wahlkampfversprechen. Schluss mit der Willkommenskultur. Doch nun ist Tag eins vorbei, und es stellt sich heraus: Das mit der „Asylwende“ ist etwas komplizierter. Unabhängig davon, ob man die Zurückweisungen richtig oder falsch findet.
Schon an Tag drei seiner Amtszeit steckt Friedrich Merz damit: in einer Erklärungs-Notlage.
Wie das Asyl-Durcheinander beginnt
Um das Asyl-Durcheinander besser zu verstehen, muss man am Mittwoch beginnen, Tag eins der Regierung Merz. Während der neue Kanzler zu seiner ersten Auslandsreise nach Paris und Warschau unterwegs ist, um die europäischen Nachbarn zu umgarnen, beraumt der zuständige Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) in Berlin eine Pressekonferenz an, die sie verärgern wird.
Dobrindt will die Asylwende „ab Tag eins“ verkünden, das ist sein wichtigster Auftrag in dieser Regierung. Doch dass nicht alles rund läuft, zeigt sich schon daran, dass sich die Pressekonferenz über eine Stunde lang verzögert. Als sie endlich beginnt, kündigt Dobrindt an, die Zahl der Zurückweisungen solle „nach und nach steigen“. In der Migrationspolitik solle wieder „Klarheit, Konsequenz und Kontrolle“ einkehren.
Ein Brief Dobrindts wird gestreut, in dem er die Bundespolizei anweist, dass „Schutzsuchenden aus einem sicheren Mitgliedstaat die Einreise verweigert werden kann“. Das „kann“ ist unterstrichen. Die Bundespolizei verstärkt ihre Kontrollen an den Grenzen. Und der Ärger geht los.
Der Ärger der anderen
Nachbarn Deutschlands melden sich zu Wort, auch öffentlich. Das Schweizer Justizministerium schreibt auf der Plattform X: „Systematische Zurückweisungen an der Grenze verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht“. Die Behörden „prüfen gegebenenfalls Maßnahmen“.
Merz bekommt den Missmut persönlich zu spüren, ebenso öffentlich auf seiner ersten Auslandsreise als Kanzler, mit der er eigentlich die Wertschätzung für Frankreich und Polen ausdrücken wollte. Beim ersten Stopp betont Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Wert von Schengen, also der offenen Binnengrenzen in Europa.
Polens Premierminister Donald Tusk wird anschließend noch wesentlich deutlicher. „Ich möchte jetzt nicht die Atmosphäre kaputtmachen, aber wir sind nicht dazu da, jetzt vorzuspielen, dass alles super ist“, sagt er irgendwann, als er mit Merz vor der Presse steht. „Die schlimmste Konsequenz wäre, dass jetzt alle Kontrollen einführen.“ Und: „Europäische Lösungen dürfen nicht darin bestehen, dass ein Staat dem anderen Probleme bereitet.“ Grenzkontrollen, betont Tusk, gehörten an die Außengrenzen der EU.