Russlands hybride Angriffe auf Deutschland nehmen täglich zu, warnt Generalmajor Andreas Henne. Wie er die Verteidigung organisieren will und was er noch dringend braucht, erklärt der Kommandeur der neuen Heimatschutzdivision im Interview.
Wenn man das Büro von Andreas Henne in der Berliner Julius-Leber-Kaserne betritt, fällt zuerst ein Gegenstand ins Auge. Es ist nicht die Deutschlandflagge an der Wand oder das Porträt des Verteidigungsministers, sondern ein bronzefarbenes Schild mit der Aufschrift „Parken nur für Traktoren. Alles andere wird zerschmettert.“ Ein Geschenk, grinst der Generalmajor und stolze Besitzer eines Traktors, ursprünglich gedacht für den heimischen Hof.
Der rund 20 Quadratmeter große Raum ist Hennes Hauptquartier. Von hier aus organisiert der erfahrene Bundeswehrsoldat den Heimatschutz in Deutschland. Als Kommandeur der gerade erst aufgestellten Heimatschutzdivision muss er mit seinen Kräften im Ernstfall kritische Infrastruktur schützen und den Nato-Aufmarsch an die Ostflanke absichern. Ein Interview über die wachsende Bedrohung durch Russland, die Rolle der Heimatschützer und die Frage, ob das Personalproblem der Bundeswehr allein durch Freiwillige gelöst werden kann.
t-online: Herr Henne, Kanzler Friedrich Merz will die Bundeswehr zur stärksten Armee Europas hochrüsten. Wie realistisch ist das?
Generalmajor Andreas Henne: Das Ziel des Kanzlers ist richtig. Starke konventionelle Kräfte schrecken ab, sie machen den Braten für den Gegner unverträglich. Ich sehe nicht, warum wir das nicht schaffen sollten.
Generalmajor Andreas Henne ist 59 Jahre alt und seit März 2025 der Kommandeur der neuen Heimatschutzdivision der Bundeswehr. Die Division soll Infrastruktur wie Häfen, Eisenbahnen und Brücken sowie wichtige militärische Einrichtungen in Deutschland schützen. Henne hatte zuvor in mehreren Panzerbataillonen gedient und an der Universität der Bundeswehr Staats- und Sozialwissenschaften studiert.
Auch Olaf Scholz hatte das versprochen – aber Deutschland ist weit davon entfernt, militärische Führungsmacht zu sein. Wie glaubwürdig ist es, wenn zwei Kanzler hintereinander das gleiche Versprechen machen, die Truppe aber weiter unter Personal- und Materialmangel leidet?
Der entscheidende Unterschied ist im Koalitionsvertrag angelegt: Wir haben jetzt nicht nur deutlich größere Finanzmittel, sondern auch die Instrumente, mit denen wir die Vollausstattung beschleunigen können. Weiterhin ist geplant, Kasernen und andere Infrastruktur schneller bauen zu können. Auch soll es für die Bundeswehr Ausnahmen im Bau- und Umweltrecht geben.
Generalinspekteur Carsten Breuer warnte kürzlich davor, dass Russland bis 2029 in der Lage ist, einen „großmaßstäblichen konventionellen Krieg“ zu führen. Wie hoch schätzen Sie die aktuelle Bedrohungslage ein?
Bis 2029 müssen wir in der Breite kriegstüchtig sein. Das sind vier Jahre. Wir haben keine Zeit zu verlieren.
Was passiert, wenn eine mögliche Waffenruhe in der Ukraine dazu führt, dass Putin von dort aus Truppen abzieht und sie an die russische Westgrenze zur Nato verlegt. Steigt dann die Gefährdungslage?
Das sind Überlegungen, die wir im Blick haben. Wir sollten keine Zeit verlieren. Die Bundeswehr und somit auch der Heimatschutz müssen schnell einsatzbereit sein.
Im September plant die russische Armee das Großmanöver „Sapad“ in Belarus, das Ende 2021 als Vorbereitung des Ukraine-Überfalls diente. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel warnte bereits vor dem möglicherweise „letzten Sommer im Frieden“. Stellen Sie sich auf ein solches Szenario ein?
Sollten die Russen eine große Truppenkonzentration im Zuge einer Militärübung nutzen, um einen Nato-Staat anzugreifen, wird die Nato bereit sein. Ich gehe nicht davon aus, dass Putin dieses Risiko eingeht. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass er den Zusammenhalt der Nato durch gezielte Provokationen testen wird. Der Kreml eskaliert den hybriden Krieg gegen Europa mit jedem Tag, auch gegen Deutschland.
Die russischen Provokationen nehmen zu. Drohnenflüge über Kasernen, durchtrennte Unterwasserkabel, Anschläge auf den Gütertransport, Spionage- und Cyberangriffe sind alltäglich. Umso wichtiger ist es, dass wir in Deutschland den Heimatschutz besser aufstellen.
Wenn Deutschland morgen angegriffen werden würde, könnte die Bundeswehr das Land verteidigen?
Jede andere Antwort würde mich als militärischer Vorgesetzter und Soldat infrage stellen. Mein Anspruch ist „fight tonight“: Wir müssen und wir werden innerhalb weniger Stunden einsatzbereit sein. Das ist, was ich meinen Männern und Frauen sage. Es gibt dann keine Fragen mehr. Dann werden wir zu den Waffen greifen und kämpfen. Wir haben geschworen, dieses Land zu verteidigen, und das tun wir.