Für die einen sind sie der Anwalt der Nutzer, für die anderen eine digitale Meinungspolizei: „Trusted Flagger“ sollen helfen, dass illegale Inhalte im Netz schneller verschwinden. Jetzt geht es dabei um mehr als Postings.
Die Jugendstiftung Baden-Württemberg hat den Fuß in der Tür bei Elon Musk, Mark Zuckerberg & Co.: Wenn bei X, Facebook oder TikTok Meldungen von der Meldestelle Respect! der Jugendstiftung eingehen, dann wissen die Verantwortlichen, dass sie die besser ernst nehmen sollten. Die Meldungen zu ignorieren, kann Ärger mit der EU-Kommission bringen, weil Respect! ein „Trusted Flagger“ ist. Die Funktion als „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ mit Segen der Behörden hatte die Jugendstiftung bislang in Deutschland allein. Aber jetzt bekommen weitere Organisationen den direkten Draht, und es geht nicht mehr „nur“ um Postings.
Die Bundesnetzagentur hat drei neue „Trusted Flagger“ bestellt: HateAid, Verbraucherzentrale Bundesverband und Bundesverband Onlinehandel e. V. Diese Funktion ist ein wichtiger Baustein in einem großen Dauerkonflikt um Onlineplattformen und die Frage, wie gut sie sich an Regeln halten und wie sie zu deren besserer Einhaltung gebracht werden können. Die EU hat deshalb den Digital Service Act (DSA) erlassen, ein umfassendes Regelwerk. Zur Umsetzung in den europäischen Ländern gibt es nationale Koordinatoren – in Deutschland ist das die Bundesnetzagentur. Und die hat jetzt die drei neuen Netzwächter benannt.
Etwa im Kampf gegen Hass und Hetze sind die „Trusted Flagger“ eine Vorhut – nicht staatlich, aber zertifiziert vom Staat und für die Aufgabe bestellt. Durch ihren Einsatz soll auf Beschwerden tatsächlich schnell und konsequent reagiert werden, damit illegale Inhalte so bald wie möglich verschwinden und Nutzer zu ihrem Recht kommen.
Der Gedanke: Beschwerden einzelner Nutzer gehen bei den Internet-Riesen unter oder führen manchmal sogar zu unberechtigten Löschungen zulässiger Postings: Bei den Netzwerken werden Nutzermeldungen von Künstlicher Intelligenz weitgehend automatisiert gesichtet, dort führen koordinierte Massenmeldungen auch immer wieder zu ungerechtfertigten Löschungen und Sperrungen. Der Hilferuf eines Nutzers, dass seine privaten Daten veröffentlicht sind, kann dagegen unbeachtet bleiben.
Die „Trusted Flagger“ sortieren die Nutzermeldungen vor. Und was aus Sicht der Experten illegaler Inhalt ist, wird an die Netzwerke weitergeleitet. Die Netzwerke sollen wissen: Was ihnen von dort „geflaggt“ zugeleitet wird, ist bereits von Fachleuten bewertet. „Sie haben ihre Kompetenz bei der Identifizierung und Meldung rechtswidriger Inhalte nachgewiesen“, heißt es von der Bundesnetzagentur. Die Plattformen entscheiden dann immer noch selbst, wie sie mit den kritisierten Inhalten umgehen, aber sie müssen auch Rechenschaft ablegen.
Wenn sie den Hinweisen der „Trusted Flagger“ systematisch nicht ausreichend nachgehen, drohen hohe Strafen von der EU. Umgekehrt müssen auch die „Trusted Flagger“ dokumentieren und offenlegen, wie sie arbeiten. Sie selbst können auch nichts löschen oder entfernen. Respect! schlägt den Netzwerken zum Löschen nur das vor, was die Meldestelle auch für strafrechtlich relevant hält und dem BKA gemeldet hat.
Bei der Organisation HateAid sieht Geschäftsführerin Josephine Ballon in den „Trusted Flaggern“ den „Versuch, unsere Demokratie, die EU-Mitgliedstaaten und jeden einzelnen Nutzenden gegen die Willkür der Tech-Plattformen zu verteidigen“. Auch HateAid mischt dabei jetzt als „Trusted Flagger“ mit. Um diese Funktion hat es bereits Kontroversen gegeben, Kritiker sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr. So sprach etwa FDP-Politiker Wolfgang Kubicki von einer „grünen Zensuranstalt“, und AfD-Politiker Stephan Brandner nannte sie „Netzdenunzianten“.
Was „illegal“ ist, regelt dabei nicht der DSA. Definiert ist es durch die Rechtsprechung der EU und die jeweiligen nationalen Gesetze. Bei Meinungsäußerungen ist das oft eine Gratwanderung. Die Jugendstiftung Baden-Württemberg, die im Oktober 2024 erster „Trusted Flagger“ wurde, sieht in ihrer Arbeit sogar eine Stärkung von legitimen Meinungsäußerungen und streitbarer Debattenkultur: Ihre Erfahrungen zeigten, „dass der überwiegende Teil der Meldungen rechtlich unbedenklich ist und zum Spektrum freier Meinungsäußerung gehört“. Zwei Drittel der Meldungen von Bürgern beziehen sich auf zulässige Meinungsäußerungen, werden von Respect! also gar nicht weitergeleitet und haben damit quasi die Bestätigung, zulässigg zu sein.
„Trusted Flagger“ HateAid war Gegenstand von Kontroversen
Handlungsbedarf sieht Geschäftsführerin Ballon von HateAid weiterhin: „Ob Meta, X oder TikTok: Sie lassen zu, dass auf ihnen strafbare Inhalte wie Morddrohungen oder antisemitische Volksverhetzung von radikalen Kräften verbreitet werden.“ Die unterschiedlichen nationalen Gesetze können auch dazu führen, dass manche Inhalte von den Netzwerken nicht gelöscht werden, sondern nur in Ländern nicht mehr angezeigt werden, in denen sie nach Ansicht von „Trusted Flaggern“ und dem Netzwerk illegal sind.