Sein neues Netzwerk nennt er nun „Aryan Circle“. Dieser „Aryan Circle“ besteht offenbar noch bis heute, denn die Jugendlichen auf den Demonstrationen tragen Fahnen und Plakate mit genau diesem Namen. Der damals noch junge rechtsextreme Marcel S. und seine „Division Nord“ schlossen sich Bernd T. und dem „Aryan Circle“ an. Sie fotografierten zum Beispiel Klimaaktivisten, klingelten bei ihnen zu Hause und bedrohten sie.
Auf unsere Anfrage antwortet Bernd T. ausführlich. Er beschreibt, dass das Zeigen der Flaggen auf den Demonstrationen nicht zufällig passiere, „sondern Teil einer größeren Strategie“ sei, so T. „Die Verwendung einiger Symbole zielt darauf ab, eine bestimmte Ideologie zu bekräftigen und eine gewachsene Identität innerhalb der Bevölkerung sichtbar zu machen“, schreibt er t-online. Er äußert sich auch zu TikTok und der Bedeutung der sozialen Medien: „Die Demo wurde auch auf Onlinemedien genutzt, um unzensierte Inhalte zu teilen. Plattformen wie FB, Instagram, TikTok u.ä. haben sich als äußerst effektiv erwiesen, um interessierte Zielgruppen anzusprechen.“ Dies stellt laut Bernd T. „eine neuartige Strategie dar, die aktiv eingesetzt werden kann, um Interessierte zu mobilisieren.“
Indem die Sprache und Kultur dieser Plattform genutzt werde, „können Personen erreicht werden, die möglicherweise durch traditionelle Informationskanäle nicht angesprochen werden“, schreibt Bernd T. „Insgesamt spielen Onlinemedien eine zentrale Rolle in der Mobilisierung der Szene.“ Die aktuelle Entwicklung der rechten Mobilisierung zeige, „wie wichtig es ist, innovative Wege zu finden, um Menschen zu erreichen und ihnen eine Plattform zu bieten, um sich mit vernünftigen Ideologien auseinanderzusetzen.“
Bernd T. schreibt außerdem: „Wir arbeiteten eng mit anderen Organisatoren zusammen, um eine klare Strategie für zukünftige Versammlungen zu entwickeln und Fokusgruppen zu bilden, die Ideen und Vorschläge der Teilnehmenden aufgriffen.“
Die alten Rechtsextremisten bieten sich nach Einschätzung von Theresa Lehmann als eine Art Vorbild an. Gerade durch die Corona-Zeit fühlten sich Jugendliche alleingelassen, hätten die Erfahrungen gemacht, keine Lobby und keine Stimme zu haben. Die Rechtsextremen geben vor, ihnen die nötige Aufmerksamkeit und auch Stimme zu geben: „Ich glaube schon, dass die letzten Jahre dazu geführt haben, dass sich eine Politikverdrossenheit, Demokratieverdrossenheit eingestellt hat“, so Lehmann. Rebellion habe es zwar schon immer gegeben, aber: „Der Stil wird gefährlicher!“ Und dieser Stil äußert sich laut Lehmann nicht nur in Gebärde und Auftreten der Jugendlichen. „Wir sehen gerade, dass auch das Gewaltpotenzial zunimmt.“
Lehmann sieht in dieser Entwicklung ein politisches Versäumnis. Sie kritisiert, dass Rechtsextremismus in der politischen Wahrnehmung zunehmend in den Hintergrund gerate – trotz der realen Gefahr: „Noch 2021 stand Rechtsextremismus als größte Gefahr für die Demokratie im Koalitionsvertrag. Das sucht man im jetzigen vergeblich.“ Dass damit ein wichtiges Signal fehle, sei aus ihrer Sicht fatal – gerade angesichts einer wachsenden Präsenz rechter Akteure im digitalen Raum.
Marcel S. hat auf Anfrage von t-online zwar reagiert, wollte sich aber nicht äußern.