Alice Weidel zeigt ungewohnt emotionale Seiten. Teile der AfD-Spitze sehen nicht nur darin Potenzial, um neue Wählergruppen zu erschließen.

670 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt schlägt Alice Weidel plötzlich neue Töne an. Auf einer Bühne in Zürich wird die designierte Kanzlerkandidatin der AfD Mitte November von einem Vertrauten, dem rechten Verleger und Chef der „Weltwoche“, Roger Köppel, nach ihrer Lebensgefährtin gefragt. Die arbeitet im Filmgeschäft, ist Anfang 40, hat einen Migrationshintergrund, in der Schweiz zieht das Paar zwei Jungen groß. An diesem Abend sitzt sie im Publikum.

Ihre Partnerin sei „dunkelhäutig“, sagt Köppel. Und die AfD habe ein bestimmtes Image. Ob das nicht zu Spannungen führe? Sie sehe keine Hautfarben, antwortet Weidel laut „Tagesanzeiger“. „Ich habe eine wunderbare Frau, wir sind seit 15 Jahren zusammen, sie ist heute Abend hier.“ Gefolgt von einem: „Sarah, ich liebe dich.“

Deutsche Medien berichten von dem Abend nicht. Doch in den Schweizer Medien ist Politik von da an Nebensache. Die Überschriften lauten am nächsten Tag fast alle gleich: „Weidel macht Ehefrau Liebeserklärung“.

Es ist ein bemerkenswerter Wechsel in Weidels Tonalität. Und nach Informationen von t-online wünschen sich zumindest Teile der AfD-Parteispitze für den kommenden Wahlkampf mehr davon: mehr Weidel, gerne lesbisch, ganz emotional.

Die Hoffnung dabei ist eine strategische: Solche Schlagzeilen sollen der Partei ein weicheres Image verleihen. Sie wissen in der AfD-Spitze, dass die Härte, mit der ihre extremsten Landesverbände gerade im Osten Wahlkampf gemacht haben, im Westen nicht gut ankommt. Zu ausländerfeindlich, insgesamt zu aggressiv, zu sehr in Richtung NPD. Im Westen aber werden Bundestagswahlen gewonnen.

Führten radikal Wahlkampf: die AfD-Landeschefs Jörg Urban (Sachsen), Christoph Berndt (Brandenburg) und Björn Höcke (Thüringen, v. l.). (Quelle: IMAGO/M. Popow/imago)

Auch programmatisch soll die AfD sich im Wahlkampf zumindest teil- und zeitweise moderater präsentieren, wenn es nach diesen Kräften im Bundesvorstand geht. Erste Schritte dafür wurden bereits getan. In der AfD ist das gewagt. Der bisherige Weg der AfD nämlich lautete: immer radikaler. Wer als Vorsitzender diesen Weg verstellte, war rasch weg oder hatte zumindest auf Parteitagen erheblichen Widerstand zu befürchten.

Nun aber hat der Teil der Spitzenfunktionäre, der sich aus wahltaktischen Gründen mehr Zurückhaltung wünscht, drei entscheidende Vorteile auf seiner Seite: den aktuellen Erfolg der Partei, den Termindruck durch die vorgezogenen Neuwahlen und Weidels Macht als erste Kanzlerkandidatin der AfD. Das könnte eine Art Überfallkommando möglich machen, ausgehend vom Bundesvorstand, der bisher so oft Getriebener seiner Basis und der starken rechtsextremen Netzwerke in ihr war.

Weidel hat aus ihrer Homosexualität, ihrer Partnerin, ihrer Familie nie ein Geheimnis gemacht. 2017 – damals ebenfalls im Bundestagswahlkampf – sprach sie erstmals auf einer AfD-Wahlkampfbühne über ihre Homosexualität – und erntete dafür Applaus.

Bisher aber äußerte sie sich zu dem Thema immer emotional zurückhaltend, bei politischen Themen in der Regel entlang der Parteilinie. Schon beinahe legendär ist der Satz, mit dem sie sich 2023 in einem Interview gegen die in der AfD als links und „woke“ verpönte Zuschreibung wehrte, sie sei „queer“. Sie sei nicht queer, sagte sie da. „Ich lebe mit einer Frau zusammen, die ich seit 20 Jahren kenne.“ Kühler geht es kaum.

Nun also das Gegenteil: Liebesbezeugungen auf großer Bühne. Weidel wird ihren Zürcher Auftritt in der „Appenzeller Zeitung“ eine Woche später damit erklären, dass sie sich wegen der Fokussierung auf die Hautfarbe ihrer Lebensgefährtin über die Frage des Moderators geärgert habe. „Da gehe ich innerlich hoch“, sagte sie. „Wie muss sie sich fühlen, wenn sie das hört?“ Ihre Partnerin sei Schweizerin, in Appenzell aufgewachsen.

Und vielleicht stimmt das. Weidel gilt als impulsiv, besonders wenn sie sich ärgert. Vielleicht ändert es etwas, wenn die eigene Frau im Publikum sitzt und direkt mit Ressentiments konfrontiert wird, wie sie in der eigenen Partei von vielen gepflegt werden.

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