Die Behörden gehen beim Absturz eines DHL-Fliegers in Litauen zunächst von einem Unfall aus. Ausschließen wollen sie aber nichts. Längst ist Russlands Terror in Europa eine konkrete Gefahr.

Ein Flugzeug im scheinbaren Landeanflug, dann steigt ein Feuerball hinter einer Halle über den Baumwipfeln auf. Bei dem Absturz eines DHL-Frachtflugzeugs aus Leipzig im litauischen Vilnius sind am frühen Morgen ein Mensch gestorben und drei verletzt worden. Zunächst gehen die Behörde von einem Unglück aus, die Ermittlungen könnten aber Wochen dauern. Bis dahin schwebt ein Verdacht über dem Unglück: Terror. Litauens Polizeichef sagte dazu: „Dies ist eine der Versionen des Absturzes, die untersucht und überprüft werden müssen.“

Genährt wird der Verdacht durch zahlreiche mutmaßliche Anschläge der vergangenen Monate.

Im Sommer waren Pakete mit Brandsätzen in Lagerhäusern des Logistikkonzerns DHL in Leipzig und im britischen Birmingham aufgetaucht, wo sie sich entzündeten. Beide waren per Luftpost versendet worden und hätten zu lebensbedrohlichen Situationen während des Flugs führen können. In Polen setzte ein Paket einen DHL-Lkw in Brand, wie die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ berichtete.

Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt warnten daraufhin Unternehmen aus der Logistikbranche vor weiteren Angriffen. Der Generalbundesanwalt übernahm die Ermittlungen. Und britische und deutsche Behörden äußerten die Vermutung, auch hier schlage wieder einmal der russische Staat zu.

Denn seit Monaten sind Nachrichtendienste europaweit alarmiert: Der Kreml scheint den hybriden Krieg gegen Europa, über den t-online kurz nach Russlands Invasion der Ukraine ausführlich berichtete, noch deutlich auszuweiten. Dafür wirbt er Nachrichtendiensten und Medien zufolge unter anderem Agenten gegen geringe Bezahlung in Telegram an.

In Polen gab es Verhaftungen wegen der Sabotage von Bahngleisen, in Deutschland flog ein mutmaßliches Mordkomplott gegen den Rheinmetall-Chef Armin Papperger auf. Einen weiteren Mordanschlag, ähnlich dem russischen Tiergartenattentat in Berlin, verhinderten Ermittler womöglich in Frankfurt am Main. Zwei Verdächtige wurden außerdem festgenommen, weil sie im Auftrag der Russen Sprengstoffanschläge auf Militär- und Industriestandorte geplant haben sollen.

Dänische Marine vor dem chinesischen Frachter „Yi Peng 3“: t-online berichtete zuerst über den Verdacht gegen das Schiff und seinen offenbar erzwungenen Stopp. (Quelle: IMAGO/Mikkel Berg Pedersen/imago)

Als Achillesferse gilt seit Langem die kritische Infrastruktur, die in ihrer Gesamtheit nicht flächendeckend geschützt werden kann. Seit Jahren kartiert Russland mit Spionageschiffen die Lage von Gaspipelines, Unterseekabeln und Windparks in Ost- und Nordsee. Zuletzt häuften sich Schäden, die absichtlich von chinesischen Frachtern verursacht sein könnten, die aus russischen Häfen kamen. Derzeit ist deswegen die „Yi Peng 3“ vor Dänemark unter Bewachung der dänischen und deutschen Marine – t-online berichtete zuerst.

Seit Monaten setzen zudem in Russland stationierte Störanlagen die GPS-Signale von Flugzeugen über der Ostsee außer Gefecht. Davon war laut Experten wohl auch die nun abgestürzte DHL-Frachtmaschine in den letzten 30 Minuten ihres Flugs betroffen.

Besonders groß ist zudem die Sorge, Russland könne die westliche Trinkwasserversorgung angreifen. In Schweden häufen sich laut „Sverige Radio“ auffällige Einbrüche, bei denen zum Teil schweres Gerät verwendet wird, Täter den Überwachungskameras entgehen und potenzielle Beute am Tatort nicht anrühren. Gleiches wird aus Finnland berichtet. Ähnliche Einbrüche in Bundeswehrkasernen in Deutschland hatten im August für Aufsehen gesorgt.

Während es in diesen Fällen bislang keine Festnahmen gab, sind litauische Behörden im Fall der Brandsätze in den DHL-Maschinen schon einen Schritt weiter: Vor rund drei Wochen wurden mehrere Verdächtige verhaftet. Ermittler aus mehreren EU-Staaten sollen am Verfahren beteiligt sein.

„Wir müssen die Quelle neutralisieren und zerschlagen, und wir wissen, wer hinter diesen Operationen steckt“, sagte dazu der litauische Präsidentschaftsberater für nationale Sicherheit, Kestutis Budrys. Konkret beschuldigte er den russischen Militärgeheimdienst, hinter den Paketbränden in mehreren europäischen Ländern zu stecken.

Sind die Anschläge nur ein Vorbote für noch schwerwiegendere Bedrohungen? Das „Wall Street Journal“ berichtete, möglicherweise sollten auf diese Weise Anschläge mit vielen Toten auf US-amerikanische und kanadische Passagiermaschinen erprobt werden. Auch der in Leipzig explodierte Brandsatz war von Litauen auf dem Weg nach Großbritannien und entzündete sich nur durch eine Verzögerung beim Abflug schon am Flughafen.

Pawel Szota, Chef des polnischen Auslandsgeheimdienstes, sprach von einer „massiven Eskalation“ der russischen Aggression: „Ich bin mir nicht sicher, ob der russischen Führung klar ist, was die Konsequenzen sind, wenn ein solches Paket explodiert und dabei viele Menschen sterben.“

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