Ganz zum Schluss, damit alle bleiben: Altmeister Lafontaine lässt seine genialische Gabe als Redner noch einmal aufblitzen und setzt einen starken Schlusspunkt beim BSW-Gründungsparteitag in Berlin.
Es ist ein bisschen wie bei den Stones. Oder eher: Wie bei Led Zeppelin. 30 Jahre hat es gedauert, bis sich Jimmy Page und Robert Plant nach dem tragischen Alkoholtod ihres Drummers John Bonham wieder auf einer Bühne blicken ließen, kurz vor Weihnachten 2007.
Der Parteitag hat sich über den ganzen Tag gedehnt. Sahra Wagenknecht am Mittag eine Rede gehalten, die an Meisterschaft, an Populismus und Demagogie kaum zu überbieten war. Danach zähe Stunden mit Anträgen und Debatten und Listenbewerbungen zur Europawahl. Jetzt ist es kurz nach sechs. Gerade noch rechtzeitig vor der „Tagesschau“ kommt die Zugabe von Oskar Lafontaine. Das politische Schlusswort ist ihm zugedacht, wohl auch, damit keiner vorher geht. Er ist der heimliche Star des Tages. Trauben von Menschen hatten sich in den vergangenen Stunden immer wieder um ihn gebildet, Mikrofonstangen sich ihm entgegengestreckt.
Jetzt ist er der Robert Plant für Sahra Wagenknecht, die die politischen Riffs vorher skrupellos-virtuos angeschlagen hat wie seinerzeit Jimmy Page auf seiner Gibson-Les-Paul-Gitarre. Bedächtig begibt sich Oskar Lafontaine ans Rednerpult in der ziemlichen coolen Location des Kosmos Kino fast am Ende der Berliner Karl-Marx-Allee, der früheren Prachtstraße der DDR. Das Rednerpult, das war über Jahrzehnte der natürliche Ort des Oskar Lafontaine. Kaum einer beherrschte in seiner aktiven Zeit die Parteitagsrede wie er.
An diesem Pult kann er unwiderstehlich sein. Nimmt Fühlung mit dem Saal auf und redet sich im Wechselspiel mit dem Publikum in einen Rausch. Dosiert das Gas. Tritt mal durch. Nimmt mal Fahrt raus. So war das immer. Einmal in Mannheim 1995, hat er mit so einer Rede und dieser Gabe einen SPD-Parteivorsitzenden weggeputscht. „Ihr seht also, liebe Genossinnen und Genossen, es gibt noch Politikentwürfe, für die wir uns begeistern können!“, rief er in den Saal. Am nächsten Tag verlor Rudolf Scharping das Vorsitzendenamt und musste es an Lafontaine abtreten.
Seine Stimme ist zu Beginn belegt, seine Artikulation verwaschen, die Zunge etwas schwer. Seine Frau und andere hätten ihn gebeten, auf diesem Parteitag zu sprechen. Das könnte doch der Oskar Lafontaine machen – sprechen, während für die Europaliste ausgezählt werde. „Und wenn die Frau das sagt, dann macht der Saarländer das“, witzelt Lafontaine zur Freude des Saals.
Er sei gefragt worden: Das sei ja nun schon die dritte Partei, für die er tätig werde. „Ist das denn jetzt die letzte?“ Und Lafontaine, er kommt langsam in Fahrt, führt aus, dass er die bisherigen Vereine, die SPD und die Linke verlassen habe, weil diese ihre eigenen Grundsätze verlassen hätten. Er führt an, sogar die „Zeit“, nicht eben das Verlautbarungsorgan des BSW, schreibe, dass es eine Lücke für diese Partei gebe. Gute Löhne: Da müsse es doch eine Partei geben, die diese Aufgabe erfüllt!“ Zum zweiten eine Partei für Frieden und Abrüstung „gegen alle anderen, die für Krieg und Aufrüstung sind!“
Er kommt in Fahrt, genießt den regelmäßigen Beifall, der seine Rede begleitet. Lafontaine verwebt Populismus und bildungsbeflissene Verweise an die alten Griechen und deren Stadtstaat, die Polis. Als Hinweis darauf, dass diese Demokratie in Gefahr ist, wenn die Leute auf die Straße gehen, weil sie ihre Interessen in der Politik nicht mehr vertreten sähen.
Die Aufmerksamkeit des Saales tut ihm sichtbar gut, wirkt wie ein Jungbrunnen. Zuletzt war es ruhig geworden um den großen Gescheiterten der deutschen Nachkriegspolitik. Zu seinem 80. Geburtstag im vergangenen September hatte er ein paar handverlesene Journalisten zu Hause in Saarbrücken empfangen, aber nur die, die er einigermaßen leiden kann. Viele waren es nicht. Er kann nicht mehr viele leiden im politisch-publizistischen Komplex. Er ist der Moby Dick der deutschen Politik. Verletzt, verbittert. Aber immer noch ein unverwechselbarer weißer Wal. Der, wenn er bläst, diejenigen in den Bann ziehen kann, die das miterleben.