Die AfD setzt im Bundestagswahlkampf eine neue, dubiose Werbestrategie im Netz ein. Experten bewerten sie als bewusst irreführend und möglicherweise rechtswidrig.
Sebastian Münzenmaier gerät ins Schwärmen. Der AfD-Bundestagsabgeordnete ist Landesvize in Rheinland-Pfalz und enger Vertrauter von Alice Weidel. In einem Space auf X mit Parteifreunden erklärt er am Dienstagabend eine Strategie für den Wahlkampf im Netz, die sein Landesverband bereits 2021 angewendet habe.
„Wenn ich das vergleiche mit Flugblättern oder Großplakaten, dann ist es unschlagbar“, sagt Münzenmaier. „Dieses Mal wollen wir das massiv ausbauen.“
Das Problem: Die neue Strategie, die Münzenmaier so ins Schwärmen bringt und die er nun bis zur Bundestagswahl im Februar befeuern will, ist bewusst irreführend und nach Einschätzung eines Experten vermutlich justiziabel. Denn die AfD kapert so den Onlinewahlkampf anderer Parteien und täuscht Wähler.
Der Begriff „Anti-Werbung“ beschreibt das Vorgehen gut: Die AfD suche, schildert Münzenmaier, gezielt nach Themen und Schlagworten, die im Wahlkampf online für andere Parteien wichtig sind. Sie kauft sich dann zu diesen Schlagworten die besten Werbe-Plätze und schaltet dort, zum Teil in der Anmutung der anderen Parteien, gezielt Inhalte gegen die Konkurrenz. Weil die Werbeplätze beispielsweise bei Google prominenter ausgespielt werden als andere Inhalte, wird Interessierten zuerst der Negativ-Inhalt der AfD angezeigt, nicht der Inhalt der anderen Parteien.
In Deutschland ist die parasitäre Strategie im Wahlkampf bisher neu.
Ein anschauliches Beispiel ist dokumentiert, das Münzenmaier im X-Space anführt: Unter den Google-Schlagworten „FDP Dreikönigstreffen“ schaltete die AfD Rheinland-Pfalz Anfang Januar Anti-Werbung gegen die FDP. Wer am Tag der Veranstaltung „FDP Dreikönigstreffen“ googelte, dem wurde eine Werbung angezeigt, die in der Überschrift zwar groß „FDP Dreikönigstreffen“ versprach – aber im kleineren Teaser erklärte: „Die FDP ist rückgratlos – Zeit für Deutschland. Nur mit der AfD. (…)“
Die Anzeige führte dann zu einer Seite auf der Homepage von Sebastian Münzenmaier, auf der ausführlich erklärt wird, warum FDP-Chef Christian Lindner das Land „zugrunde“ gerichtet und welche Wahlversprechen die FDP gebrochen haben soll. Der Deutschlandfunk-Journalistin Ann-Kathrin Büüsker ist die Google-Anzeige bereits am 6. Januar aufgefallen. Sie hat sie mit Screenshots im Netzwerk Bluesky dokumentiert. Die Anti-FDP-Webseite von Münzenmaier ist noch abrufbar.
Bei Google-Werbung soll es laut Münzenmaier nicht bleiben. „Massiv“ wolle man die Strategie ausbauen – vor allem, weil man sie auf Anraten einer Werbeagentur bereits im Wahlkampf 2021 eingesetzt und sehr gute Erfahrungen gemacht habe. „Der Erfolg war wirklich riesengroß“, so Münzenmaier.
Einsetzen wolle man sie nun überall, wo Werbung viele Menschen erreicht – „ob das Onlinespiele sind, ob die auf irgendeiner Zeitung lesen“. Sein Landesverband wolle auch auf YouTube „extrem viel Werbung“ schalten – „so kurze Clips, die man dann auch bei anderen Parteien vorschaltet“.
t-online hat Münzenmaier einen Fragenkatalog zugeschickt und darin unter anderem nach dem Namen der Werbeagentur gefragt, die die Idee hatte, sowie dem Budget, das die AfD für diese Form der Werbung einsetzt. Diese Fragen wollte der AfD-Politiker nicht beantworten. „Hervorragend und vorbildlich“ sei das Verhalten der AfD im Wahlkampf, behauptete er stattdessen.
Der Jurist Jonas Kahl sieht das ganz anders. Er ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht bei der Kanzlei Spirit Legal. Ein Experte auf diesem Gebiet. „Es gibt gute Argumente dafür, dass im Fall der AfD-Anzeige zum Dreikönigstreffen der FDP eine Marken- und Namensrechtsverletzung vorliegen könnte“, sagt er t-online. „Das kann Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche auslösen. Es kann auch ein Verstoß gegen Google-Richtlinien sein.“
Mit „unlauteren Mitteln“ nämlich erfolge die Gestaltung der Werbeanzeige, so Kahl weiter. Denn im Beispiel des FDP-Dreikönigstreffens werde durch die Überschrift suggeriert, dass man auf einer Homepage der FDP lande. „Oft lesen Nutzer schließlich nur die Überschrift“, so Kahl. „Und Herr Münzenmaier erklärt im Space ja deutlich, dass man gerade darauf abzielt, Nutzer zu erreichen, die eigentlich nach der FDP gesucht haben.“