Nach mehr als einem Jahrzehnt Bürgerkrieg befindet sich Syrien an einem entscheidenden Wendepunkt. Der Sturz des Assad-Regimes hat bei vielen Syrern die Hoffnung auf Frieden und Freiheit neu entfacht. Doch die Situation ist fragil: Millionen Menschen wurden vertrieben, die humanitäre Lage bleibt dramatisch und die Gefahr erneuter Gewalt ist allgegenwärtig. Um der Bevölkerung des Landes eine gute Zukunft zu ermöglichen, möchte Deutschland aktiv zur Stabilisierung Syriens beitragen – nicht zuletzt, weil in den letzten Jahren rund eine Million syrische Flüchtlinge in Deutschland Zuflucht gesucht haben.
Ein Acht-Punkte-Plan für Syrien
Das Auswärtige Amt hat dazu einen Acht-Punkte-Plan vorgelegt, der Syrien Stabilität und einen Ausweg aus der Krise bieten soll.
1. Friedlicher Machtwechsel
Oberste Priorität hat ein friedlicher Machtwechsel. Ziel ist es, auf der Grundlage eines umfassenden Dialogprozesses aller sozialen, ethnischen und religiösen Gruppen das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Strukturen wiederherzustellen. Bundeskanzler Olaf Scholz betonte in einem Video-Statement zu X, dass Stabilität nur unter Einbeziehung aller Gruppen möglich sei: „Syrien ist die Heimat zahlreicher ethnischer und religiöser Gruppen. Stabilität und Sicherheit wird es nur geben, wenn im neuen Syrien Platz für alle diese Gruppen ist.“
2. Schutz der territorialen Integrität Syriens
Gleichzeitig betont Deutschland, dass Syrien nicht erneut zum Spielball ausländischer Mächte werden dürfe. Die territoriale Integrität Syriens kann nur durch eine enge internationale Koordination, insbesondere unter Einbeziehung der Vereinten Nationen, gesichert werden. Deutschland hat zu den israelischen Aktivitäten auf den Golanhöhen, die Israel 1967 besetzte und 1981 annektierte, klar Stellung bezogen. Das Auswärtige Amt kritisierte die Ankündigung der israelischen Regierung, Siedlungen auf syrischem Gebiet auszubauen. „Die Errichtung ziviler Siedlungen verstößt gegen das Besatzungsrecht“, erklärte das Ministerium. Die Bundesregierung forderte Israel auf, von diesem Plan abzusehen und bekräftigte ihre Position, dass die Golanhöhen völkerrechtlich zu Syrien gehören.
3. Offener Dialog mit politischen Akteuren
Deutschland verfolgt einen pragmatischen Kurs in seinen Beziehungen zu den dominierenden Kräften in Syrien – insbesondere der Miliz Hay’at Tahrir al-Sham. Gemeinsam mit internationalen Partnern versucht die Bundesregierung, Stabilität zu fördern, ohne extremistische Ideologien zu legitimieren. Ziel ist es, die fragile Lage Syriens nicht weiter zu verschärfen und gleichzeitig den politischen Dialog offen zu halten.
Die Europäische Union hat den deutschen Diplomaten Michael Ohnmacht entsandt, um erste Kontakte zu den neuen Machthabern in Damaskus herzustellen. Ohnmacht war zuvor Botschafter in Libyen und hat an den Botschaften in Städten wie Beirut und Riad gearbeitet. Als Vertreter der EU liegt es in seiner Verantwortung, die Position Europas zu vermitteln und gleichzeitig die Bedürfnisse der syrischen Bevölkerung im Auge zu behalten. Seine Mission findet in einer heiklen Übergangsphase statt. „Wir dürfen nicht zulassen, dass in Syrien ein Vakuum entsteht“, sagte die Hohe Vertreterin der EU für auswärtige Angelegenheiten, Kaja Kallas.
4. Förderung der humanitären Hilfe und des Wiederaufbaus
Ein weiteres zentrales Anliegen ist die humanitäre Hilfe. Viele Menschen in Syrien befinden sich in einer schwierigen Situation – explodierende Lebensmittelpreise und fehlender Zugang zu Grundversorgung verschärfen das Leid durch Krieg und Vertreibung. Aus diesem Grund setzt Deutschland in Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem Welternährungsprogramm und dem UNHCR auf Nothilfe und unterstützt gleichzeitig den langfristigen Wiederaufbau. Um die akute Notlage zu lindern, stellte die Bundesregierung kurz nach dem Sturz Assads zusätzliche Hilfen in Höhe von acht Millionen Euro bereit.
5. Sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen und die Rechenschaftspflicht nach internationalem Recht sicherstellen
Gleichzeitig wird es von entscheidender Bedeutung sein, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Der Bürgerkrieg hat tiefe Wunden hinterlassen, und Deutschland setzt auf Gerechtigkeit und eine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Verbrechen des Assad-Regimes und anderer Konfliktparteien sollen aufgearbeitet werden. Deutsche Gerichte haben bereits zuvor Gefängnisstrafen gegen syrische Kriegsverbrecher verhängt. In einem Interview warnte Außenministerin Annalena Baerbock syrische Kriminelle vor der Flucht nach Deutschland: „Sollte einer von Assads Folteragenten mit dem Gedanken spielen, nach Deutschland zu fliehen, werde ich ihm eines klarmachen: Wir werden dies mit der ganzen Härte des Gesetzes tun.“ alle Handlanger des Regimes für ihre abscheulichen Verbrechen zur Rechenschaft ziehen.“
6. Vernichtung chemischer Waffen
Priorität hat auch die Sicherung und Vernichtung der verbliebenen Chemiewaffen des Assad-Regimes. Deutschland unterstützt die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) und ist bereit, logistische und technische Hilfe zum Schutz der Region zu leisten. „Wir haben jetzt die Chance, die Welt ein für alle Mal vor Assads Chemiewaffen zu schützen“, sagte Außenministerin Baerbock. „Die verbleibenden Waffen müssen so schnell wie möglich in internationalen Gewahrsam genommen werden.“
7. Ausbau der deutschen diplomatischen Präsenz in Syrien
Darüber hinaus plant die Bundesregierung, ihre diplomatische Präsenz in Syrien wieder aufzunehmen, sobald die Umstände dies zulassen, um den politischen Dialog im Land zu stärken. Deutschland betreibt derzeit Pendeldiplomatie vom Libanon aus. Derzeit organisiert Sonderkoordinator Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt, das deutsche Engagement und die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern von Beirut aus.
8. Ermöglichung einer sicheren Rückkehr nach Syrien
Ein zentrales Ziel bleibt es, syrischen Flüchtlingen eine sichere Rückkehr zu ermöglichen – und ihnen die Möglichkeit zu geben, in Deutschland zu bleiben. Auch Verdi-Gewerkschaftschef Frank Werneke betonte, dass viele Syrer in Deutschland gebraucht würden: „Ob in der Pflege, im Krankenhaus, bei Post- und Paketdiensten, im Versandhandel und in vielen anderen Berufen: Syrische Flüchtlinge tragen in allen Bereichen dazu bei, dass dieses Land am Laufen bleibt.“ von Gebieten.“
Langfristige Perspektiven in Syrien schaffen
„Das syrische Volk hat schreckliches Leid erlebt“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. „Wir werden die Machthaber in Zukunft danach beurteilen, ob sie allen Syrern ein Leben in Würde und Selbstbestimmung ermöglichen.“ Der Acht-Punkte-Plan der Bundesregierung gibt einen klaren Weg zur Erreichung dieses Ziels vor: humanitäre Hilfe, Stabilität und langfristige Perspektiven für ein Land, das endlich Frieden verdient.