Erik Lesser beobachtet die Entwicklungen im Biathlon genau. Mit Blick auf den Nachwuchs kritisiert er auch den Stellenwert des Sports in Deutschland.
Bei den deutschen Biathleten des A-Kaders gab es in den letzten beiden Jahren mehrere Rücktritte, etwa die von Denise Herrmann-Wick, Vanessa Hinz oder auch Benedikt Doll. Bei den Herren führt Johannes Kühn mit seinen 33 Jahren als erfahrener Athlet in dieser Saison das Team an. Bei den Frauen hat die 30-jährige Franziska Preuß diese Rolle inne, die aktuell den Gesamtweltcup anführt und das Gelbe Trikot trägt (mehr zu Preuß lesen Sie hier).
Die jüngsten deutschen Biathleten sind Simon Kaiser und Danilo Riethmüller (beide 25 Jahre). Letzterer durfte im finnischen Kontiolahti zum Saisonauftakt sein Staffeldebüt mit dem Mixed-Team feiern. Am Ende wurde es der vierte Platz. Riethmüller musste dabei eine Strafrunde absolvieren und gestand im Anschluss, dass er durch den Druck nervös gewesen sei.
Er zeigte jedoch im Massenstart in Kontiolahti mit seinem vierten Platz und im Massenstart in Le Grand-Bornand (Frankreich) mit seinem zweiten Platz und besten Karriereergebnis (mehr zu der Aufholjagd lesen Sie hier), dass er dem Druck auch standhalten kann. Bei den Frauen gehört die 22-jährige Johanna Puff gemeinsam mit der 20-jährigen Selina Grotian zu den deutschen Talenten. Gerade Grotian hat mit ihrem ersten Weltcupsieg in Le Grand-Bornand gezeigt, dass sie Deutschland im Biathlonsport noch viel Freude bereiten kann.
Zu den besten deutschen Biathletinnen und Biathleten gehören also einige Hoffnungsträger für die Zukunft. Einer, der die Entwicklungen in den Teams beobachtet, ist Ex-Ass Erik Lesser. Der Verfolgungsweltmeister von 2015 gehörte jahrelang zu den Identifikationsfiguren und Leistungsträgern in der deutschen Auswahl. Nach seinem Karriereende wurde der 36-Jährige TV-Experte und ist zudem als Schießtrainer tätig. Im Gespräch mit t-online erklärt Lesser nun, dass es abgesehen vom A-Kader durchaus Nachwuchsprobleme im deutschen Biathlon gibt.
„Bei der Deutschen Meisterschaft waren die Nicht-A-Mannschaftsathleten schon ein bisschen weiter weg. Es gab da nicht so viele, die gesagt haben: ‚Ich möchte da auch mal vorne mitmachen'“, so der Olympia-Silbermedaillengewinner im Einzel von 2014 in Sotschi. Lesser ist davon überzeugt, dass Simon Kaiser in seiner noch jungen Karriere einiges erreichen kann: „Er zeigt das Potenzial, mal oben anzuklopfen.“
Zwar gebe es immer mal wieder Talente, doch Lesser betont auch: „Die große Masse fehlt uns natürlich. Wenn man Richtung Norwegen schaut, kann man nur neidisch sein.“ Die Norweger haben zwar auch jüngere Talente, wie beispielsweise Juni Arnekleiv (25 Jahre) und Sturla Holm Laegreid (27 Jahre) in ihrem A-Kader. Allerdings haben diese bereits viel Erfahrung und im Fall von Laegreid auch schon Olympiagold und sechs WM-Goldmedaillen gewonnen. Zudem kommen immer wieder neue Talente wie die 21-jährige vierfache Europameisterin Maren Hjelmeset Kirkeeide nach.
Lesser warnt jedoch davor, das deutsche Biathlon-System zu kritisieren, nur weil in Norwegen mehr junge Menschen an dem Sport interessiert seien. „Ich glaube, dass unsere Ausbildung in Deutschland schon sehr gut ist und die in Norwegen nicht besser ist. Ich glaube, wenn du 100 Athleten zur Verfügung hast, dann ist es einfach, daraus zwei Top-Athleten zu finden, zu formen, und dann ist es auch egal, was du mit ihnen trainierst. Wenn du aber nur zehn Athleten hast, also ein Zehntel davon, und davon zwei rauspickst, dann musst du alles richtig machen“, so Lesser.
Er sieht in Deutschland eine geringere Wahrscheinlichkeit, gute Talente regelmäßig nach oben zu bringen: „Wir laufen dann Gefahr, unser System zu hinterfragen, obwohl es eigentlich gut ist.“ Der Knackpunkt ist laut Erik Lesser ein anderer: „In Norwegen hat Sport noch einen anderen Stellenwert.“
In dem skandinavischen Land würden in den Vereinen noch mehr Kinder Sport treiben, und dadurch sei auch mehr Nachwuchs im Biathlon vorhanden. „Biathlon ist ja dort noch einmal kleiner als Ski-Langlauf. Die Langläufer haben sicher gar keine Nachwuchsprobleme dort, so wie wir sie kennen“, meint der frühere deutsche Leistungsträger.