In allen Bereichen steigt die Gewalt gegen Frauen. Die Bundesregierung müsse handeln, sagt Anwältin Christina Clemm.
Die Gewalt gegen Frauen in Deutschland nimmt zu – und das deutlich. Das geht aus einem aktuellen Lagebild hervor, das die beiden Bundesministerinnen für Frauen, Lisa Paus (Grüne), und für Inneres, Nancy Faeser (SPD), zusammen mit dem Vizepräsidenten des Bundeskriminalamts (BKA), Michael Kretschmer, am Dienstag vorgestellt haben.
„Dass diese Gewalt zunimmt, verwundert mich nicht“, sagt Juristin Christina Clemm t-online. Die Anwältin für Familienrecht hat schon Hunderte Frauen vor Gericht vertreten. „Geschlechtsspezifische Gewalt ist, so muss man es leider sagen, ein Massenphänomen“, erklärt Clemm. Frauenverachtende Ressentiments seien in der deutschen Gesellschaft tief verankert und würden hingenommen.
Vor allem eine Gruppe sei für die Gewalt verantwortlich: „Männer schlagen, vergewaltigen, misshandeln, töten Frauen und queere Menschen. Besonders, wenn sie mit ihnen in einer Partnerschaft leben oder gelebt haben“, sagt die Anwältin. Solche Fälle und Gewalt innerhalb von Familien fallen unter den Begriff häusliche Gewalt. Allein 180.000 Betroffene des Phänomens gab es 2023 in Deutschland – rund 71 Prozent waren Frauen und Mädchen. Bei partnerschaftlicher Gewalt beträgt der Anteil sogar 80 Prozent.
Das Problem: „Es ist einfach, normalisiert und meist folgenlos für die Täter, die Partnerin zu misshandeln oder sexualisierte Gewalt auszuüben“, sagt Clemm. Verschlimmert werde die Situation durch das Internet. „Der Frauenhass im Netz ist unerträglich“, so die Juristin. Auch BKA-Präsident Kretschmer sieht es als „Treiber“ von Gewalt an Frauen.
Clemm ergänzt, auch politisch werde Frauenhass angetrieben: „Rechtsextreme und extrem religiöse Bewegungen treiben den Frauenhass an, aber er ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, darin sind sich viele einig.“
Handlungsbedarf seitens der Politik
Sie selbst bekomme schon seit geraumer Zeit mehr Anfragen, als sie beantworten kann. Das zeige, wie schwer es für gewaltbetroffene Frauen ist, spezialisierte Rechtsanwältinnen zu finden, heißt es weiter.
Der Hintergrund der betroffenen Frauen sei dabei sehr unterschiedlich, alle Schichten seien vertreten: „Es gibt kaum eine Frau, die nie in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erlebt hat.“ Frauen, die von Rassismus, Queerfeindlichkeit, Armut und Beeinträchtigungen betroffen seien, hätten jedoch weniger Möglichkeiten, Schutz und rechtliche Unterstützung zu erlangen.
Deswegen sieht Clemm Handlungsbedarf. „Es fehlen spezialisierte Beratungsstellen, Frauenhausplätze und Schutzwohnungen“, sagt sie. Zudem sei es für gewaltbetroffene Frauen kaum möglich, bezahlbare Wohnungen zu finden. „So verharren sie bei dem Gewalt ausübenden Mann. Viele stehen vor dem finanziellen Ruin, wenn sie ihren Mann verlassen.“
Dass das Angebot vielerorts nicht reiche, hatte Familienministerin Paus zuletzt eingeräumt. Ein geplantes Gewalthilfegesetz will die Bundesregierung noch auf den Weg bringen. Mit dem Gesetz, das im Koalitionsvertrag der Ampel festgehalten wurde, wollte die Bundesregierung die Finanzierung von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen unterstützen. Dafür bräuchte es auch Stimmen von der Union. Ob es nach dem Austritt der FDP aus der Regierung noch kommt, ist jedoch fraglich.
Das Gewalthilfegesetz werde dringend benötigt, erklärt Clemm. Dass es bisher nicht gekommen ist, liege an FDP-Chef Christian Lindner. „Das war dem letzten Finanzminister schlicht zu teuer, obwohl wir wissen, dass es helfen würde.“ Die Politik müsse das Thema nun endlich ernst nehmen, es „ganz vorn auf die politische Agenda setzen“, so Clemm. „Geschlechtsbezogene Gewalt ist kein Frauenthema, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Jeden Tag wird in Deutschland eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist, alle drei Minuten wird eine Frau misshandelt. Man muss sich entscheiden, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.“
Christina Clemm diskutiert zu dem Thema „Sexualisierte Gewalt gegen Frauen“ am Mittwochabend in der Talkshow „Maischberger“ (ARD, 21.45 Uhr) mit Schauspielerin Maria Furtwängler.