Am Ende reicht es ihm: Olaf Scholz wirft Christian Lindner raus, im Frühjahr gibt es Neuwahlen. Protokoll eines historischen Mittwochs im November.
Olaf Scholz wirkt gefasst, als er rauslässt, was sich über Monate angestaut haben muss. „Um Schaden von unserem Land abzuwenden“, sagt der Kanzler vor der herbeigeeilten Hauptstadtpresse, habe er am Abend Christian Lindner entlassen.
„Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, sagt Scholz. „Es gibt keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit.“ Der Kanzler nennt den Finanzminister „kleinkariert“ und „verantwortungslos“. „Ihm geht es um die eigene Klientel. Ihm geht es um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei.“ Und nicht um das Land. Lindner habe auch heute „keinerlei Bereitschaft“ gezeigt, ein Angebot zu einem Kompromiss anzunehmen. „Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten.“
Es ist beinharte Kritik. Eine Abrechnung.
- Kommentar zum Ampel-Aus: Endlich ist der Spuk vorbei
Der große Knall hatte sich seit Wochen angekündigt, die Lage wurde immer prekärer. Gipfel, Gegengipfel, Habeck-Papier und jede Menge Vorwürfe. Am vergangenen Freitag dann das Lindner-Papier. Die Botschaft des FDP-Chefs: So will ich die Lage retten. Entweder ihr macht mit, oder ich bin weg.
Seitdem rangen die drei Ampelspitzen in einer Reihe von Gesprächen um einen Kompromiss. Oder eigentlich um zwei: Denn es brauchte einen Haushalt ohne Löcher und möglichst viel darüber hinaus, um die Wirtschaft zu retten. Es war offensichtlich zu viel für diese wundgescheuerte Koalition.
Im Januar will der Kanzler nun die Vertrauensfrage stellen. Damit nicht erst im Herbst, sondern schon im Frühjahr neu gewählt wird. Dieser Mittwochabend im November, es ist der Anfang vom Ende der Ampel.
Es sieht schon nicht gut aus, als der Koalitionsausschuss am Abend um 18 Uhr zusammenkommt. Mit den Parteichefs, den Fraktionschefs und den wichtigsten Ministern aller drei Parteien ist das Gremium aus Sicht vieler Koalitionäre eigentlich zu groß, um wirklich gute Lösungen zu finden. Der Plan war deshalb eigentlich, dass sich Scholz, Habeck und Lindner spätestens am Mittwoch schon vorher in kleiner Runde grundsätzlich einigen.
Zweimal kommen sie deshalb zusammen, erst am Vormittag, dann noch einmal am Nachmittag. Doch als der Koalitionsausschuss abends beginnt, steht: nicht viel. Eine Annäherung habe es beim Haushalt gegeben, heißt es da. Mehr aber auch nicht. Und der Haushalt ist ja ohnehin nur der eine Brocken. Der andere, das sind die Reformen für die Wirtschaft. Und die sind fast noch umkämpfter.
Nach Informationen von t-online bietet Scholz dem Finanzminister beim Treffen am Nachmittag eine mögliche Lösung an: einen sogenannten „Überschreitungsbeschluss“. Der Kanzler will die Haushaltsnotlage erklären, um mehr Schulden machen zu können und so 15 Milliarden Euro für die Ukraine zu mobilisieren. Im regulären Haushalt, so der Plan, wären die aktuell für das angegriffene Land eingeplanten 12 Milliarden Euro frei geworden. Drei Milliarden Euro hätte es für die Ukraine obendrauf gegeben.
Es ist ein Plan mit einem Haken: Die Notlage für die Ukraine hatte Lindner bisher strikt ausgeschlossen.
Als es um 18 Uhr im Koalitionsausschuss losgeht, ist deshalb bis auf das Essen nach wie vor nichts gut. Es gibt Semmelknödel mit Rinderschulter, für die Vegetarier Tagliatelle mit Pilzragout. Und dazu wenig Gemeinsamkeiten. Von gespenstischer Stimmung ist zwischendurch die Rede.
Lindner lehnt den Vorschlag von Scholz ab. Er könne sich das nicht vorstellen. Stattdessen macht er einen eigenen Vorschlag: Neuwahlen. Um „geordnet und in Würde“ eine neue Regierung für Deutschland zu ermöglichen.
Es sind inzwischen rund zwei Stunden vergangen. Plötzlich poppt eine Eilmeldung auf den Handys auf, natürlich auch im Kanzleramt: „Lindner schlägt Scholz Neuwahlen vor“. Die Sitzung ist nach t-online-Informationen gerade unterbrochen, als es passiert.
Scholz ist wütend. Er vermutet offenbar, dass Lindner oder seine Leute die Meldung durchgestochen haben. Es ist der eine Tropfen zu viel an diesem Tag. Teilnehmern zufolge sagt der Kanzler zu Lindner, das sei nun ein solcher Vertrauensbruch gewesen, dass er den Bundespräsidenten gebeten habe, ihn als Finanzminister zu entlassen. Aus, das war’s.